„Wir brauchen Menschen, die Verantwortung übernehmen“

Prof. Dr. Agnes Schipanski ist Professorin für Medienwirtschaft an der SRH Berlin School of Popular Arts und Mitglied bei She Means Community, über den plötzlichen Tod ihrer Mutter, Werte wie Fleiß und Mut, neue Geschäftsmodelle, ihren Willen mitzugestalten und weibliches Geschick.

Welche fünf (Fun-)Fakten lese ich in deinem Steckbrief?

Geboren in Leipzig als Zwilling und aufgewachsen in Ilmenau, Thüringen. Studierte und promovierte Medienwissenschaftlerin. Vorliebe für Rotwein, gutes Essen, Reisen, klassische Musik und Gespräche mit interessanten Menschen. Motto: „Gestalten statt Verwalten“. Rotarierin mit Freude am gesellschaftlichen Engagement

Was oder welche Nachricht beschäftigt dich gerade?

Persönlich beschäftigt mich der plötzliche Tod meiner geliebten Mutti. Sie starb am 7. September nach kurzer schwerer Krankheit. Sie war für mich nicht nur eine liebevolle, fürsorgliche und weitsichtige Mutti, sondern ebenso Beraterin. Sie hat mich persönlich und beruflich sehr geprägt und begleitet. Sie war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die für unser Land und über die Landesgrenzen hinaus viel bewegt hat. Für mich bleibt sie als liebevolle Mutti im Herzen. Gesamtgesellschaftlich bewegt mich vor allem, dass Werte wie Fleiß, Engagement, Mut, Geradlinigkeit und fachliche Kompetenz keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Sie rücken, nach meinem Empfinden, immer mehr in den Hintergrund. Wer sich am besten „präsentiert“ und auf sich aufmerksam macht, egal ob fachlich und emotional kompetent, wird wahrgenommen. Verantwortung möchte fast keiner mehr übernehmen. Das stört und empört mich. Wir brauchen Menschen, die gestalten wollen und Verantwortung übernehmen. Nur so können wir gemeinsam Lösungsansätze für die Herausforderungen unserer Zeit entwickeln. Es braucht ehrliche, geradlinige und visionäre Persönlichkeiten, nicht Ja Sager und Machtmenschen.

Gesamtgesellschaftlich bewegt mich vor allem, dass Werte wie Fleiß, Engagement, Mut, Geradlinigkeit und fachliche Kompetenz keine Rolle mehr zu spielen scheinen.

Du unterrichtest als Professorin Medienwirtschaft. Was sind die Trends oder die großen Themen in der Medienwirtschaft?

Eines der großen Themen ist die Entstehung neuer Geschäftsmodelle, z.B. im Rahmen der Plattformökonomie oder Cross Innovation (Verbindung der Kreativindustrie mit Wirtschaft, Technik, Gesundheit und der Dienstleistungsbranche). Ebenso gewinnt die Digitalisierung und damit Weiterentwicklung der Medienbranche in Richtung Hybridisierung, Fusionierung und Social Media weiterhin an Bedeutung. Es entstehen neue Berufszweige (z.B. Content Creator, Social Media Expert) und Arbeitsbereiche (z.B. Social Media Ressort). Aber auch die Arbeit mit und von Künstlicher Intelligenz (KI) rücken mehr in den Vordergrund. So schlägt KI dem Mediennutzer personalisierte Inhalte aufgrund von mitgetrackten Gewohnheiten vor, beobachtet übergreifend die Medienberichterstattung und verfasst Nachrichten und Artikel.

Ein aktueller Trend, den ich bereits 2011 in meiner Doktorarbeit analysiert und an einem Unternehmensbeispiel gestaltet habe, ist die zunehmende Verschmelzung von Public Relation, Marketing und internen Kommunikationsbereichen als Folge der digitalen und integrierten Kommunikation (z.B. bei BMW). Denn die Kunden nehmen die Bereiche nicht einzeln, sondern ihre Inhaltsdarstellungen als Einheit wahr. BMW denkt hier in Richtung Themenorientierung. PR kann ohne Marketing nicht funktionieren und auch nicht umgekehrt. Denn wenn ich ein Unternehmen in der Öffentlichkeit darstelle, nehme ich automatisch Bezug auf dessen Produkte. Und umgekehrt wird mit jedem Produkt auch das Unternehmen als Ganzes in Verbindung gebracht.

Deine Schwerpunkte sind Leadership und Organisationsentwicklung und die Unterstützung junger Menschen, die in Führungsverantwortung kommen. Wie können wir junge Führungskräfte am besten unterstützen auf ihrem (Karriere-)Weg?

Im Wesentlichen sind es für mich drei Wege: Kenntnisvermittlung, Vorbildfunktion, Öffnung und Empfehlung von Netzwerken.

1. Im Rahmen der Kenntnisvermittlung geht es in erster Linie um das zukünftige Wissen in den Feldern der klassischen Manageraufgaben. In Rahmen der Planung bedarf es strategischen Wissens, orientiert an den Unternehmenswerten. Führung muss werteorientiert und empathisch gepaart mit Fachkompetenz vermittelt und umgesetzt werden. Kontrolle und Controlling sollte im Sinne der anstehenden Aufgaben und dazu benötigter Mittel und nicht im Sinne der Effizienz und kurzfristiger Ziele erfolgen. Dazu bedarf es der Vermittlung von Empathie, Fürsorge, Verantwortungsbereitschaft, Geradlinigkeit, Loyalität und Verständnis.

2. Durch eigenes Vorbild gilt es diese Werte zu vermitteln und zu festigen. Darüber hinaus können wir durch Beratung und Coaching neue Wege aufzeigen, Innovationsfreude wecken und aufgrund von Erfahrungen wichtige Tipps geben. Entsprechende von uns kreierte Studienangebote, Weiterbildungen und Konferenzen sollten als Basis und Unterstützung dienen.

3. Durch das Analysieren und Fördern des Potentials junger Führungskräfte können wir ihnen Wege eröffnen und ebnen. Dies kann beispielsweise durch Empfehlung und Öffnung von persönlichen und beruflichen Netzwerken erfolgen.

Wie ist deine Erfahrung: Haben es Frauen mit Doktor- und Professorinnen-Titel leichter, wenn es um die Gleichbehandlung der Geschlechter geht?

Nein, leider nicht. Ich habe das Gefühl, dass der Doktor- und Professorinnen-Titel zum Teil sogar nachteilig ist. Gerade wenn es um die Bewerbung für eine Führungsposition geht. Hier kann der Doktor- oder Professorinnen-Titel als Bedrohung statt Bereicherung angesehen werden.

Was treibt dich an?

Mich treibt in erster Linie der Wille an, mein berufliches Umfeld und die Gesellschaft mitzugestalten. Auch habe ich den Ehrgeiz, immer am Puls der Zeit zu sein und interdisziplinäres Wissen zu besitzen. Es macht mir große Freude mich nicht nur auf meinem Gebiet weiterzuentwickeln, sondern auch Neues zu lernen. So kann ich umfassendere Zusammenhänge und Lösungsansätze entwickeln, die vielfältige Interessen miteinander verbinden.

Mich treibt in erster Linie der Wille an, mein berufliches Umfeld und die Gesellschaft mitzugestalten.

Wieso bist du Mitglied bei She Means Community?

Ich bin Mitglied bei She Means Community, da ich es wichtig finde, dass Frauen sich austauschen, von ihren Erfahrungen erzählen und damit helfen sowie sich vernetzen. Es wird Zeit, dass sich Frauen mehr gegenseitig unterstützen!

Diversity, Gender Equality und Female Empowerment sind weite Themenfelder. Welche Themen beschäftigen dich?

Mich beschäftigen im Rahmen meiner Forschungstätigkeit vor allem das Thema Female Empowerment in der Führung sowie die harmonische und bereichernde Integration der Generation Z in die Arbeitswelt. Den Rahmen beider Felder bildet die zukunftsfähige Ausbildung der nächsten Führungskräftegeneration. Female Empowerment spielt im Rahmen zukünftiger und aktueller Führung eine maßgebliche Rolle. Denn Frauen besitzen zum Teil mehr Geschick für den Ausgleich in schwierigen Situationen, sowohl menschlich als auch fachlich, sind zum Teil empathischer, kommunikativer und diplomatischer. Sie sollten bestärkt und gefördert werden und ihnen muss ein Platz in der Führungsspitze gegeben werden, der ihnen oft noch verwehrt bleibt. Dennoch bin ich der Meinung, dass es keine typisch weiblichen und typisch männlichen Führungsqualitäten gibt.

Die Integration der Generation Z in die Arbeitswelt, durch Berücksichtigung aller am Arbeitsprozess Beteiligten, ist ein großer Schwerpunkt meiner Forschung und Lehre. Denn die jungen Menschen haben zum Teil andere persönliche und berufliche Werte, die oft als nicht oder nur schwer kompatibel mit den Werten der anderen Generationen am Arbeitsplatz angesehen werden. Meine Forschung zeigt, dass dies mitnichten so ist! Es gibt viele generationelle Gemeinsamkeiten, die als Wertegrundlage im Arbeitsbereich etabliert werden könnten. Solche Werte wären beispielsweise gegenseitige Wertschätzung, Zuverlässigkeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Hilfsbereitschaft. Die Integration der Generation Z, aber auch die zukünftigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, erfordern eine Ausbildung und Förderung von Führungskräften, die emotional, empathisch und fachlich kompetent sind.

Welche Frage hat dir gefehlt?

Mir hat die Frage gefehlt: Was würdest du jungen Menschen mit auf den Weg geben? Ich würde ihnen als erstes sagen, dass sie nie die Menschen vergessen sollten, die sie auf ihrem Weg unterstützt und begleitet haben. Als zweites würde ich ihnen raten, ihren Werten treu zu bleiben, auch wenn es manchmal schwerfällt. Ich habe selbst erfahren, dass es wichtig und beglückend ist, sich immer im Spiegel ansehen zu können und sich selbst treu zu bleiben. Als drittes würde ich ihnen sagen, dass sie nie die Liebe und Freunde vernachlässigen sollten. Denn am Ende und in schwierigen Situationen sind genau die beiden das, was einen trägt.

Wer soll „Woman of the month” im November werden?

Ich schlage Jeannine Koch, Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende media:net berlinbrandenburg e.V. & Co-Geschäftsführerin MediaTech Hub Potsdam vor.

Kerstin Wünsch

Wer ist Agnes Schipanski?

Prof. Dr. Agnes Schipanski ist Professorin für Medienwirtschaft an der SRH Berlin School of Popular Arts und Mitglied bei She Means Community. Seit Januar 2022 leitet sie den Studiengang Medienmanagement B.A., welchen sie in Richtung Digitalisierung und Netzwerkmanagement zukunftsfähig ausgerichtet hat. Zuvor war sie in Führungspositionen in der Wirtschaft tätig, leitete das Institut für Weiterbildung in der Kreativindustrie und war Prorektorin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Organisationsentwicklung, agiles Führungs- und Personalmanagement sowie Generationenmanagement.