„Vielfalt ist aus meiner Sicht alternativlos“

Tanja Auernhamer ist Leiterin Verbandskommunikation und Pressesprecherin im Bundesverband Industrie Kommunikation (bvik). Im Interview spricht sie über stille Wasser, die Klimakatastrophe, den Spagat zwischen „Human x Digital“, ehrliche interne Kommunikation und einen Wunsch für die Zukunft.

Welche fünf (Fun-)Fakten lese ich in deinem Steckbrief?

Stille Wasser sind tief -– in gewisser Weise mag das auf mich zutreffen. Ich liebe es, Dinge neu zu denken und zu konzipieren, im Hintergrund zu assistieren und anderen zur Seite zu stehen. Meine fünf (Fun-)Fakten sind:

1. Des Pudels Kern: Ich bin ein Fan von kurz und knackig. Als studierte Germanistin liebe ich Linguistik, Literatur und das Schreiben von Texten. Redundanzen und Plattitüden finde ich unerträglich, Aphorismen und kluge Gedanken inspirieren mich. In meiner Verantwortlichkeit für Verbandskommunikation, Content und Presse beim bvik kann ich meine Leidenschaft, komplexe Inhalte und wichtige Botschaften auf den Punkt bringen, leben.

2. Lehre als Leidenschaft. Obwohl ich nie Lehrerin werden wollte, habe ich auf Lehramt studiert. Ich bin froh, dass ich nicht in die Schule, sondern ins Marketing gegangen bin, aber mein Herz schlägt noch immer für die Didaktik. 2020 bekam ich deshalb die Chance, unser bvik-Academy-Programm „B2B-Kompetenz-Werkstatt“ federführend mit aufzubauen und das pädagogische Konzept zu schreiben.

3. Tatsachen schaffen durch Ungehorsam. Ich bin geduldig und nachsichtig, aber Ungerechtigkeit, Respektlosigkeit und Ignoranz ertrage ich nicht.

4. Orientierungslos über die Messe … Leider ist mein Orientierungssinn unterentwickelt. Böse Zungen behaupten, ich hätte gar keinen 😉. Zur Herausforderung werden für mich unsere bvik-Rundgänge auf großen Leitmessen.

5. Günstig als Gast. Es macht mir Spaß, mit Freunden und Bekannten zu feiern. Das gilt beruflich wie privat. Dabei bin ich ein sehr kostengünstiger Gast, denn ich kann den ganzen Abend mit einer Weinschorle bestreiten. Alkoholisiert hat man mich noch nie erlebt und wird das vermutlich auch in Zukunft nicht.

Was oder welche Nachricht beschäftigt dich gerade?

Die vielen weltweiten Krisen. Mein „Alles-wird-gut“-Gefühl wird erschüttert durch die Klimakatastrophe, die gerade erst Anlauf nimmt. Ich ärgere mich über mich und meine Generation, dass wir in den 80ern den Weg „Jute statt Plastik“ nicht mit Ernsthaftigkeit und Verhaltensänderung weitergegangen sind. Das Bild vom Spagat zwischen „Structure x Speed“ und „Human x Digital“ unseres diesjährigen Tags der Industriekommunikation (TIK) bringt es auf den Punkt: Wie schaffen wir es, als Menschen und Unternehmen Schritt zu halten mit den disruptiven Entwicklungen? Wie stellen wir sicher, dass ethische Werte die Gesellschaft zusammenhalten? Wie gelingt uns Erziehung in Zeiten des Social-Media-Wild-West, wie schaffen wir es, die Schwächeren zu integrieren, zu schulen und ihnen eine Zukunftsperspektive zu geben? Ich habe ehrenamtlich ukrainischen Kindern Deutschunterricht gegeben und einmal mehr erlebt, dass der Zufall der glücklichen Geburt die größte Ungerechtigkeit der Welt ist. Wir haben hier viele große gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu lösen. Das beschäftigt mich sehr.

Wie stellen wir sicher, dass ethische Werte die Gesellschaft zusammenhalten?

Du leitest die Verbandskommunikation im Bundesverband Industrie Kommunikation. Wie kommuniziert die Industrie?

Die Industrie kommuniziert sehr professionell über eine stetig steigende Anzahl an Kanälen. Die Vielfalt und Komplexität der Aufgaben sind große Herausforderungen für die Kolleg:innen in der B2B-Branche. Personalisierung, Automatisierung und Prozessoptimierung sind wichtige Ziele, aber auch Emotionalisierung der Botschaften und professionelles Employer Branding. Im lauten Grundrauschen wird es immer schwieriger, intern wie extern die wichtigen Stakeholder mit passgenauen Inhalten zu erreichen. Laut dem Trendbarometer Industriekommunikation 2023 sind 95 Prozent der Befragten der Meinung, dass professionelle und ehrliche interne Kommunikation zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen führen wird. Um kluge Köpfe für das Unternehmen zu gewinnen, werden die Kräfte verstärkt gebündelt zwischen Marketing und HR. Silostrukturen lösen sich zunehmend auf, was große Change-Prozesse mit sich bringt. Gleichzeitig öffnet man sich zunehmend neuen KI-gesteuerten Zukunftstechnologien, denn das Thema Geschwindigkeit erhält eine neue Dimension. Markenwerte dabei nachhaltig zu verankern, wird nicht leichter.

Am 22. Juni 2023 habt ihr den Tag der Industriekommunikation abgehalten, kurz TIK. Die Konferenz thematisiert zukunftsweisende B2B-Marketing-Trends. Welche sind das?

Der diesjährige TIK stand im Zeichen von drei Spannungsfeldern, die unser Mitglieder-Expertenbeirat identifiziert hat. Zwei habe ich mit Geschwindigkeit versus Struktur und Digital versus Mensch bereits genannt. Der dritte Bereich drehte sich um Brand versus Hype. Auf den Punkt gebracht lässt sich sagen, dass die digitale Transformation der Megatrend schlechthin ist, dass Digitalisierung aber nie Selbstzweck ist, sondern immer dem Wohl der Menschen und Unternehmen dienen muss. Das hebt den TIK ein Stückweit von den vielen Konferenzen ab, die gerade zeitgleich stattfinden: Beim bvik steht nicht die Faszination der Technologie per se im Zentrum, sondern die Begeisterung für das, was durch Digitalisierung in der Industrie und insbesondere auch im Mittelstand möglich wird.

Tanja Auernhamer und ihre Kolleg:innen auf dem diesjährigen Tag der Industriekommunikation (TIK). © privat

 

Chatbot ChatGPT setzt künstliche Intelligenz ein, um mit Nutzern über textbasierte Nachrichten zu kommunizieren, Antworten und Texte zu generieren. Siehst du Jobs in Marketing und Kommunikation gefährdet? Oder anders gefragt: Was kannst du, was ChatGPT nicht können wird?

ChatGPT und andere KI-Modelle können große Mengen an Daten effizient verarbeiten, Informationen schnell abrufen, für verschiedene Zwecke zusammenfassen oder grundlegende Fragen eloquent beantworten – viel besser als ich es kann. Auch bei der automatisierten Analyse von Daten, der Erstellung von Berichten oder dem Schreiben von Programmier-Code wird KI das Rennen machen. Dennoch haben wir es trotz aller Leistungsfähigkeit noch immer mit schwacher KI zu tun. Menschliche Expertise, die Fähigkeit ethisch-moralische Entscheidungen zu treffen und menschliche Empathie in vielen Bereichen werden weiterhin unersetzlich bleiben. Ich halte es für essenziell, jetzt in der Breite die Anwendung, Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren der KI zu schulen. Ich möchte hier den Plattformökonomen Dr. Holger Schmidt zitieren: „Die Menschen haben nun die Wahl: Wer die KI bedienen und sich – dank Weiterbildung – auch dauerhaft im oberen Segment etablieren kann, ist auf der sicheren Seite. Hier entstehen auch viele neue Jobs (…). Wer sich dagegen in einen Wettbewerb mit der KI im unteren Segment begibt, kann auf Dauer nicht gewinnen.“

Stichwort neue Arbeitswelten: Wie wichtig ist Vielfalt?

Vielfalt ist nicht nur wichtig, sondern aus meiner Sicht alternativlos. Viele aktuelle Studien belegen, dass Organisationen zum Beispiel durch divers besetzte Führungsgremien erfolgreicher werden. Neben Umsatzsteigerungen zeigen sich auch Performance-Steigerungen in den Bereichen Kreativität, Innovation und unternehmerischer Offenheit, wenn Gender Diversity im C-Level Einzug hält. Ich bin zutiefst überzeugt, dass Kollegien mit vielfältigen Wurzeln deutlich innovativer sind. Wer sich nur mit seinesgleichen umgibt, wird auf Dauer auch nur Seinesgleichen mit seinen Botschaften und Produkten erreichen. Die erfolgreichen internationalen Player beweisen, dass Produkte und zukunftsgerichtete Services nur so innovativ und flexibel an den Bedarf angepasst sind, wie es ihre Entwickler und Vermarkter im Unternehmen sind. Diversität hat dabei viele Facetten, die relevant sind für eine innovative Teamzusammensetzung. Diverse Teams zu führen ist dabei kein Selbstläufer und erfordert professionelles Diversity Management. Für mich gilt: Das Genie beherrscht die Vielfalt – und gewinnt.

Im gemeinnützigen Verein She Means Community geht es um Diversity, Gender Equality und Female Empowerment. Welches Thema liegt dir am Herzen?

Das Thema Empowerment von Frauen in allen Lebenssituation betrachte ich als zukunftsentscheidend. Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte ich mich über den Fachkräftemangel freuen, denn nun sind alle Arbeitgeber gezwungen, auch flexible Modelle gezielt für Frauen zu entwickeln. Ich arbeite seit der Geburt meiner beiden Kinder in verantwortlichen Positionen. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich Führungstandems wärmstens empfehlen, ich plädiere dafür, passende Programme aufzulegen und es einfach mal auszuprobieren! Mehr Win-Win geht kaum.

Tanja Auernhamer im Panel “Future of work: Diversity’s role in creating the work culture of tomorrow” auf der Konferenz She Means Business 2022. ©  IMEX Goup

Was treibt dich an?

Ich kann Chancen, die ich erkenne, nicht liegen lassen. Sie ergreifen Besitz von mir. Irgendwann muss ich sie umsetzen. Daher hatte ich noch nie Angst vor größeren Projekten, wenn ich die Vision darin erkannt hatte. Im Privaten ist es das Wohlergehen meiner beiden Kinder, für sie möchte ich ein Fels in der Brandung sein, dieser Gedanke erdet mich.

Welche Frage hat dir gefehlt?

Vielleicht die Frage: Wenn du einen Wunsch für eine bessere Zukunft frei hättest, was würdest du dir wünschen? Darauf hätte ich geantwortet: Dass alle Kinder – egal aus welchem Land und mit welchem Bildungshintergrund – durch Integration und individuelle Bildungsangebote die gleichen Chancen im Leben bekommen. Wissen ist nicht nur Macht, Wissen ist vor allem Freiheit. Nicht das Unvermögen sollte entscheiden, was wir tun können und was nicht, sondern unser freier Wille auf Basis unserer Kenntnisse und Fähigkeiten.

Wer soll „Woman of the month” im August 2023 werden?

Ich nominiere Sabine Böhling. Ich bewundere ihr Engagement für Nachhaltigkeit und teile ihre Begeisterung für „lebenslanges, lebensbreites und lebenstiefes Lernen“. Ich würde gerne mehr über sie erfahren und freue mich, wenn ich die Community mal wieder in live und in Farbe erlebe!

Kerstin Wünsch

© Beitragsbild: bvik

Wer ist Tanja Auernhamer?

Nach ihrem Studium (Geschichte, Germanistik) in Augsburg und Birmingham war Tanja Auernhamer in den Bereichen Marketing, Werbung und Markenaufbau in Bildungsverlagen tätig. Als Leiterin der Verbandskommunikation beim Bundesverband Industrie Kommunikation (bvik) liegen ihr die Professionalisierung und Digitalisierung der B2B-Kommunikation sowie die Weiterentwicklung des Verbandes im Interesse seiner Mitglieder besonders am Herzen.