„Mut tut gut!“

Sabine Böhling ist Beraterin, Trainerin und Dozentin für Nachhaltigkeit und CSR und Gründerin von sb² concepts. Im Interview spricht sie über ihre Leidenschaft für die 17 Sustainable Development Goals der United Nations und nachhaltiges Eventmanagement, ihr Studium mit Ende 40 und ihre Selbständigkeit mit Anfang 50, Reverse-Mentoring und die Decade of action.

Welche fünf (Fun-)Fakten lese ich in deinem Steckbrief?

Mein Kosename, den mir meine Mama gegeben hat, ist „Scheggerming“, weil ich als Kind nicht „Schmetterling“ sagen konnte (1).

Ich habe immer schreckliches Lampenfieber – auf der Bühne, bei einem Podcast etc. Meine Hoffnung, dass es besser wird, habe ich allmählich aufgegeben, werde es aber immer wieder versuchen (2).

Ich arbeite sehr gerne in Netzwerken und liebe diverse, vertrauensvolle und langjährige Freundschaften. Meine guten Freundinnen und Freunde kann man an 10 Fingern abzählen; meine älteste Freundin und Vertraute ist 83, die jüngste 22 (3).

Ich bin leidenschaftliche (ehrenamtliche) Botschafterin der Sustainable Development Goals (SDGs). Das sind 17 Ziele zur nachhaltigen Entwicklung der UN. Für viele bin ich „die Frau mit den Bierdeckeln“, da ich häufig SDG-Bierdeckel-Sets mit zu den Zielen passenden Sprüchen in hessischer Mundart verteile (4).

Ich wollte nie ein Buch schreiben oder herausgeben. Nach den Erfahrungen als Mitherausgeberin von „CSR in Hessen“ mit 52 Best Practice-Beispielen hatte ich mir geschworen, das mache ich nie wieder … doch als im Herbst 2022 ein Netzwerkpartner mit einem tollen Thema für ein Buch auf mich zukam, habe ich meine Meinung geändert und in den letzten Wochen an einem Buchmanuskript gearbeitet. Stay tuned – Coming soon!

Was oder welche Nachricht beschäftigt dich gerade?

Puh – das ist nicht einfach. Nachrichten zum Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Geschlechter-(Un)Gleichheit und dem Ukrainekrieg beschäftigen mich täglich, weil es komplexe Themen sind, die häufig miteinander zu tun haben und bei denen keine einfache Lösung in Sicht ist. Daher nenne ich ein Thema, bei dem ich das Gefühl habe, Lösungsansätze bieten zu können. Mein Steckenpferd ist das nachhaltige Eventmanagement und ich bin fest davon überzeugt, dass inzwischen viele in der Branche verstanden haben, dass Nachhaltigkeit das neue Profitabel ist. Somit lassen wir das Erkenntnisproblem, dass etwas getan werden muss, allmählich hinter uns. Nun stehen viele vor einem Umsetzungsproblem, dabei möchte ich unterstützen. Das tue ich zum einem mit der Serie „SDGs und Events“ auf der Website der tw tagungswirtschaft. Dort stelle ich mit Kerstin Wünsch und Stefan Lohmann, Sofortmaßnahmen und Best Practice-Beispiele zum Einzahlen auf die 17 Ziele der Nachhaltigen Entwicklung den sogenannten SDGs vor, um einen einfachen Einstieg und schnellen Start in das Thema zu ermöglichen. In einem zweiten Projekt arbeite ich mit einem Netzwerkpartner an einer Publikation, die die Transformation zur Nachhaltigkeit in der Veranstaltungsbranche unterstützen und vorantreiben soll.

Serie „SDGs und Events“

Sabine Böhling und Stefan Lohmann übersetzen die 17 Sustainable Development Goals für die Veranstaltungswirtschaft auf der Website der tw tagungswirtschaft. Hier steht mehr.

Nach fast 30 erfolgreichen Berufsjahren in der Chemieindustrie hast du Tourismus-, Hotel- und Eventmanagement studiert. Wie kam das?

Nach 27 Jahren in der Chemiebranche in verschiedenen Unternehmen, Positionen und Aufgabenfeldern entschied ich mich nach einem Merger und reiflicher Überlegung, das neue Unternehmen zu verlassen und mir den Wunsch eines weiteren Studiums zu erfüllen. Ich kann nur sagen: Mut tut gut! Ich habe es noch keinen Tag bereut. Tourismus, Reisen und Events haben mich schon immer interessiert. Nach mehreren Schnuppervorlesungen war klar: Das wird mein neues Leben! Gleich im ersten Semester entschied ich, dass ich etwas entwickeln möchte, das Unternehmen bei der notwendigen Transformation zur Nachhaltigkeit unterstützt, denn gerade diese Branchen brauchen den Wandel dringend, um überleben zu können. Aufgrund meiner Lebens- und Berufserfahrung weiß ich, dass Veränderungsprozesse dieses Ausmaßes eine große Herausforderung darstellen. Mein Bachelorarbeit zum Thema: „Mitarbeiterevents als unterstützende Maßnahme zur Sensibilisierung des Themas Corporate Social Responsibility – Ein modulares Eventkonzept für Unternehmen“ wurde als beste Arbeit der Hochschule Fresenius in Wiesbaden ausgezeichnet. In der Laudatio sagte die Dekanin: „Die Aufbereitung des Themas erfolgte dabei sehr ausführlich und auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau und es wurden zentrale Erkenntnisse abgeleitet.“ Im Oktober 2019 habe ich mich selbständig gemacht, um mein Wissen zu teilen. Ich möchte den Zweck begreiflich machen, warum wir den Wandel so dringend brauchen, aufzeigen, welche Auswirkungen das eigene Handeln hat sowie das Können vermitteln, damit jede:r sich unmittelbar auf den Weg in eine nachhaltige Zukunft machen kann. Jeder Beitrag zählt! Wir müssen nur alle anfangen!

Sabine Böhling wird für ihre Bachelorarbeit „Mitarbeiterevents als unterstützende Maßnahme zur Sensibilisierung des Themas Corporate Social Responsibility – Ein modulares Eventkonzept für Unternehmen“ Hochschule Fresenius in Wiesbaden ausgezeichnet. Foto: privat

 

Als Schwerpunkt im Studium hast du Nachhaltigkeit gewählt. Das Thema ist zu deinem Thema, ja eine Leidenschaft geworden. Wie nimmst du andere Menschen in der nachhaltigen Transformation mit?

Als Tochter von Eltern der Kriegsgeneration bin ich mit vielen Dingen aufgewachsen, die wir heute als nachhaltig bezeichnen. Nur leider habe ich im Laufe der Jahre auch vieles vergessen. So habe ich das Problem unseres übermäßigen Konsums zunächst nicht erkannt und Annehmlichkeiten wie „Kaffee-to-go“ genossen. Wie ich Menschen mitnehme? Ich versuche, über die Themen aufzuklären und erste einfache Sofortmaßnahmen aufzuzeigen. Ich möchte ein Vorbild sein, wobei ich weit davon entfernt bin, eine „Vollzeitheilige“ zu sein, aber ich habe mich auf den Weg gemacht und will an jedem Tag besser werden.

Nach deinem Studium hast du dich 53 Jahren selbstständig gemacht. Das ist mutig. Teilst du mit uns deinen größten Erfolg und deinen größten Fail?

Mein größter Erfolg: Jeder Tag, an dem ich mindestens einen Menschen dafür sensibilisieren und motivieren kann den Weg in eine nachhaltige Zukunft mit mir zu gehen, lässt mich abends dankbar, glücklich und zufrieden einschlafen. Der größte Fail in meiner Selbstständigkeit: Ich teile mein Wissen rund um Nachhaltigkeit und CSR sehr gerne mit allen Menschen. Nachhaltigkeit ist ein Gemeinschaftswerk und wir können es nur alle zusammen noch schaffen. Was ich aber richtig doof und enttäuschend finde, dass ist, wenn jemand meine Idee oder mein geistiges Eigentum nimmt und es als „seines“ verkauft, um damit Profit zu machen. So geschehen direkt am Anfang meiner Selbstständigkeit.

Mein größter Erfolg: Jeder Tag, an dem ich mindestens einen Menschen dafür sensibilisieren und motivieren kann den Weg in eine nachhaltige Zukunft mit mir zu gehen.

Im gemeinnützigen Verein She Means Community geht es um Diversity, Gender Equality und Female Empowerment. Welches Thema liegt dir am Herzen – und warum bist du Teil der She Means Community?

133 Jahre bis zur Gleichstellung! Als ich diese Zahl hörte, da war mir klar: Ich muss auch hier aktiv werden. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass meine Mama nicht arbeiten durfte, weil mein Vater das nicht wollte. Für die Jüngeren hier in der Community: Erst seit 1977 dürfen Frauen in Deutschland arbeiten ohne Erlaubnis ihres Mannes einzuholen. Es gibt noch viele Länder, in denen diese Regel noch gilt. Ähnliches gibt es zu Themen wie Führerschein, Auto fahren oder ganz übel, dass Recht auf einen Schul- oder Universitätsbesuch. Außerdem gefällt mir die Mentorin- und die Mentée-Idee so gut, da ich gerne mein Wissen teile und genauso gerne von anderen Menschen lerne.

 

Du bist Mentorin, aber auch Mentée beim Reverse-Mentoring. Was ist das, und wieso legst du Reverse Mentoring anderen ans Herz?

Früher war es üblich, dass ältere erfahrene Personen als Mentor:innen für jüngere oder weniger erfahrene Personen gedient haben. Beim Reverse-Mentoring ist das umgekehrt, das heißt die Rollen werden getauscht. Weniger erfahrene oder jüngere Menschen werden zu Mentor:innen für ältere oder erfahrene Menschen. Die größte Wertschöpfung sehe ich im bidirektionalen Mentoring, bei dem beide vom jeweils anderen gefördert und gefordert werden. Ein wunderbares Beispiel durfte ich im Juli auf der Plattform der She Means Community unter der Moderation von Karin Ruppert mit Michèle Kreuter präsentieren. Ich bin davon überzeugt, dass Reverse-Mentoring zur Förderung des generationenübergreifenden Lernens beiträgt, zur Verbesserung der Zusammenarbeit verschiedener Altersgruppen und zur Steigerung der Innovationsfähigkeit in Organisation. Es ermöglicht den Austausch von Perspektiven, das Aufbrechen von Stereotypen und die Förderung eines kontinuierlichen Lernens in einer sich schnell verändernden Arbeitswelt.

Was treibt dich an?

Meine intrinsische Motivation, der Glaube daran, dass wir es – wenn alle Menschen in die richtige Richtung gehen – in der #decadeofaction noch schaffen können. Dazu ist Bildung für Nachhaltige Entwicklung der Schlüssel und deshalb versuche ich, mein Wissen mit möglichst vielen Menschen zu teilen.

 

Welche Frage hat dir gefehlt?

Gefehlt? Keine, aber ich werde tatsächlich oft gefragt, was meine Familie, Freund:innen, Nachbar:innen etc. dazu gesagt haben, dass ich mit Ende 40 noch mal „von vorne“ angefangen habe, ein Studium aufgenommen habe etc. Es scheint viele Menschen zu interessieren, vielleicht weil sie selbst Lust darauf hätten, aber Angst davor haben diesen Schritt zu gehen, oft getrieben von dem Gedanken sind: Was werden bloß die Leute sagen? Falls die Antwort jemand interessiert: Nein, es fanden nicht alle gut oder toll. Würde ich es trotzdem wieder tun? Na klar – unbedingt!

Wer soll „Woman of the month” im September 2023 werden?

Ich nominiere Natascha Kneissl. Unser erstes Treffen während des She Means Community-Abends bei Jazzunique dieses Jahres hat mich begeistert. Ich würde gerne mehr über sie persönlich erfahren, darüber, was sie antreibt und was ihre Ziele sind.

Kerstin Wünsch

© Beitragsbild: Julia Imhoff

Wer ist Sabine Böhling?

Nach 27 Jahren in der Chemiebranche macht Sabine Böhling 2019 ihren Bachelor of Arts (B. A.) in Tourismus-, Hotel- und Eventmanagement. Als Schwerpunkt wählt sie Nachhaltigkeit und CSR. Heute arbeitet Sabine Böhling Beraterin, Trainerin und Dozentin für Nachhaltigkeit und CSR und erstellt mit ihrer Firma sb2 concepts Schulungsprogrammen, Trainings und Kundenberatung, der Messe- und Eventorganisation sowie der Ausbildung von Nachwuchskräften. Sie ist überzeugt: „Wenn alle Menschen den Zweck einer nachhaltigen Entwicklung verstanden haben, sich des eigenen Handelns und dessen Auswirkungen bewusst sind und erste Sofortmaßnahmen an die Hand bekommen, um sich selbst auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft zu begeben, dann können wir es – in dieser wichtigen ‚Decade of action‘ – gemeinsam noch schaffen.“