Jeannine Koch ist Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende medianet berlinbrandenburg e.V., Gesellschafterin MediaTech Hub Potsdam und Gründungsmitglied des gemeinnützigen Vereins She Means Community. Im Interview spricht sie über ihren Auftritt in einer Jugendvollzugsanstalt, gesellschaftliche Herausforderungen, Projekte ohne Blaupause, den Gender Data Gap und die „Dritte Generation Ost“.
Welche fünf (Fun-)Fakten lese ich in deinem Steckbrief?
Mit 13 Jahren habe ich Marusha und Westbam auf der Mayday in der Deutschlandhalle interviewed und bin mit 17 als Backgroundsängerin der Berliner Mädchenband „Lemonbabies“ in einer Dresdener JVA aufgetreten (1+1). Als Studentin habe ich eine dreimonatige Weltreise gewonnen (2). Auf einem englischsprachigen Panel, moderiert von einem deutschsprachigen Host, bin ich als Jeannine Cook vorgestellt worden (3). Ich bringe immer Sprichwörter durcheinander, etwa so: Morgenstund‘ ist aller Laster Anfang (4). Für den fünften Punkt habe ich meine beste Freundin gefragt, die geantwortet hat: Jeannine ist extrem humorvoll, emphatisch und sehr verlässlich.
Was oder welche Nachricht beschäftigt dich gerade?
Nach wie vor beschäftigen mich aktuell allerlei Fragen rund um die steigenden Energiepreise, die Inflation und den wachsenden Fachkräftebedarf. Das sind massive gesellschaftliche Herausforderungen, die derzeit jedes Unternehmen zu bewältigen hat, aber zu denen auch jede*r ganz persönlich eine Strategie entwickeln muss, damit umzugehen. Aber auch die Pandemie ist noch nicht vorbei. Außerdem beobachte ich mit einer gewissen Skepsis den Kauf von Twitter durch Elon Musk. Ob dieses wirklich mächtige Medium bei ihm in den besten Händen ist, wage ich zu bezweifeln. Politisch treibt mich die für Februar avisierte Wiederholungswahl des Berliner Abgeordnetenhauses (und ggfs. der Bezirksverordnetenversammlung sowie zum Bundestag) um – das sind ganz schön viele Wirkmächte auf einmal, die es zu bewältigen gilt … keine einfache Zeit gerade.
Du bist sehr viel unterwegs. Im Oktober warst du beim Politischen Morgen, beim Human Rights Film Festival Berlin, beim Network-Event “Games meets Film“ und beim 48. Mediengipfel sowie beim Female Executive Dinner, … mal als Speakerin, mal als Moderatorin, immer als Veranstalterin und Gastgeberin. Wie schaffst du das?
Das frage ich mich auch manchmal … Mein Tag beginnt sehr früh und endet in der Regel, bedingt durch die vielen Abendveranstaltungen, sehr spät. Ich habe zum Glück ein fantastisches Team, das sehr viel für die Veranstaltungen vorbereitet, so dass ich mich nicht mit jedem einzelnen Detail befassen muss. Das hilft ungemein. Ansonsten sind mir, so gut es eben geht, meine Wochenenden heilig, sowie Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie zu verbringen. Sport als Ausgleich ist natürlich auch immer ein sehr guter Ratgeber. J
Podcast-Empfehlung: „The Medium is the Message“ mit Jeannine Koch und Nina Straßner, Global Head of People Initiatives @SAP! https://open.spotify.com/episode/4JKTD0YXEq1ms2SnJqN2dT
Das medianet berlinbrandenburg veranstaltet viele Netzwerk-Events und launcht jetzt im November das „People & Culture Festival“. Warum sind Veranstaltungen in Präsenz so wichtig? Schließlich seid ihr ein Netzwerk der Medien- und Digitalwirtschaft.
Ich glaube, uns allen ist in der Pandemie bewusst geworden, wie wichtig die persönlichen Treffen sind. Dass physische Zusammenkünfte auf Veranstaltungen eben das Öl im Business- und Privat-Getriebe sind, um Dinge zum Laufen zu bringen und am Laufen zu halten. Wir Menschen benötigen mehr Sinneseindrücke als nur den Visuellen, um miteinander zu „connecten“. Wir brauchen die Energie im Raum, die Gerüche, den Sound, das Gewusel, um Erinnerungsanker zu setzen und gemeinsame Erlebnisse zu kreieren. Digitale Meetings sind wunderbar, sie sparen jede Menge Reisezeit, CO2 etc. Sie sind perfekt für Menschengruppen, die sich bereits kennen oder um Wissen weiterzugeben. Aber um Initialzündungen hervorzurufen, dazu sind sie denkbar ungeeignet. Mir ist es erst einmal passiert, dass ich bei einem virtuellen Meeting derartig geflashed war, dass es weitere wichtige Vernetzungsschritte nach sich zog. Andersherum lässt es sich deutlich einfacher und kreativer kennenlernen, brainstormen und im Austausch bleiben.
Du hast das Netzwerk im Januar 2021 inmitten der Pandemie übernommen und seither umgebaut. Was sind deine drei Hacks zu Community Building?
- Zuhören
- Geben macht seliger als Nehmen 😉
- Respekt und Wertschätzung
Was treibt dich an?
Mich treiben vor allem inspirierende Menschen an; Personen mit Visionen, die für manche abwegig und unerreichbar scheinen. Das finde ich spannend. Ich liebe tiefgründige Gespräche, die etwas in mir auslösen und mich dazu bringen, Dinge neu zu denken und aus meiner eigenen Filterblase zu kriechen. Mich treibt es an, neue Ideen und Projekte ohne Blaupause, zu entwickeln und sie auch umzusetzen – am liebsten gemeinsam mit coolen Teammitgliedern, die ihre eigenen Handschriften und Fußabdrücke hinterlassen. Mich treibt aber auch an, einfach mal gar nichts zu machen und Erlebtes Revue passieren zu lassen. Zugegeben, das Letztere passiert zurzeit nur selten, aber das wiederum treibt mich an, dafür wieder mehr Raum zu schaffen. 😉
Ich habe She Means Community mitgegründet, um Mut zu machen und zu zeigen, dass es sich lohnt in Netzwerken zu denken, zu arbeiten und zu leben.
Wieso hast du den gemeinnützigen She Means Community mitgegründet?
Ich glaube, dass wir einfach immer noch – und noch eine Weile – Sichtbarkeit für Themen rund um Gendergerechtigkeit, Frauen in Führungsrollen, Frauen als Mütter im Arbeitsleben, Frauen in der Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft, einfach Frauen auf dieser Erde, in welchen Rollen auch immer, schaffen müssen. Bei She Means Community haben sich im letzten Jahr fantastische Frauen aus der Veranstaltungs- und Medienbranche zusammengetan, um hierfür Räume zum Austausch, Wissenstransfer, Mentoring und Netzwerken zu schaffen. Das halte ich für sehr wichtig. Mit dem medianet veranstalte ich regelmäßig Events, die nur an Frauen adressiert sind. Diese Veranstaltungen sind geprägt von einer unglaublichen Offenheit, und das führt zu einer sehr selten gewordenen „Intimität“, in der sich Menschen, die sich kaum kennen, ehrlich und verletzlich gegenüberstehen und von ihren prägenden Erfahrungen berichten. Das hilft uns allen dabei, zu sehen, dass wir alle mit denselben Ängsten, Herausforderungen, Überforderungen, Erfolgen, Chancen und Risiken zu kämpfen haben. Das gibt Mut. Und deshalb habe ich She Means Community mitgegründet, um Mut zu machen und zu zeigen, dass es sich lohnt in Netzwerken zu denken, zu arbeiten und zu leben.
Diversity, Gender Equality und Female Empowerment sind weite Themenfelder. Welche Themen beschäftigen dich?
Tatsächlich beschäftigt mich am meisten der „Gender Data Gap“. Ich finde es erschreckend und faszinierend zugleich, dass es so viele wichtige Datenerhebungen nur über oder entlang des männlich gelesenen Geschlechts gibt. Zu diesem Thema kann ich ein sehr gutes Buch empfehlen: „Unsichtbare Frauen“ von Caroline Criado-Perez. Außerdem ist die Auseinandersetzung über „Intersektionalität“, also die Überschneidung verschiedener Diskriminierungskategorien, unglaublich wichtig und relevant. Ich habe zum Beispiel, neben der Tatsache, dass ich eine Frau bin, auch noch eine ostdeutsche Herkunft. Mit diesem Thema beschäftige ich mich seit einigen Jahren, auch durch Initiativen wie „Wir sind der Osten“ und „Dritte Generation Ost“, die wichtige Arbeit leisten. Aber ich muss auch sagen, dass ich teilweise mit Sorge beobachte, wie wir uns mit unseren Schubladen, in die wir uns zum Teil selber stecken, immer mehr exkludieren und in immer kleineren Filterkreisen landen. Ich wünsche mir, dass wir offen bleiben gegenüber der Andersartigkeit, diese annehmen, akzeptieren und feiern können.
Welche Frage hat dir gefehlt?
Keine. 😉
Wer soll „Woman of the month” im Dezember werden?
Karin Ruppert. Sie ist unsere Vorsitzende und die treibende Kraft hinter She Means Community. Ich schätze sie sehr, auch weil sie nicht nur redet, sondern macht.
Kerstin Wünsch
Fotocredits © Dominik Butzmann